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E-Rezept ab 2022: So könnte es aussehen und funktionieren

Rund 500 Millionen Rezepte werden jedes Jahr von Ärzten ausgestellt. Derzeit sind sie noch alle auf Papier. Doch in naher Zukunft gehören diese der Vergangenheit an: Mit der Einführung des elektronischen Rezepts wird das gedruckte Muster-16-Formular ab Mitte 2021 schrittweise abgeschafft. Ab 1. Juli können Ärzte und Zahnärzte ihren Patienten in einer Einführungsphase Rezepte direkt digital über die Telematik-Infrastruktur ausstellen. Ab 1. Januar 2022 sollen ausschließlich elektronische Rezepte die Prozesse sicherer, schneller und effizienter machen. Bis dahin gibt es noch einige Baustellen zu bewältigen.

Es ist eines der größten Einzelprojekte bei der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens: das E-Rezept.

Es soll die administrativen Prozesse bei der Bearbeitung von Rezepten automatisieren und beschleunigen. Entsprechend ehrgeizig sind die Pläne der Berliner gematik GmbH, die mit der Umsetzung des Systems beauftragt wurde. Und es wird ernst: Ab dem 1. Juli 2021 soll das E-Rezept in einer Einführungsphase erstmals für gesetzlich Krankenversicherte zur Verfügung stehen. Danach dürfen alte Papierrezepte noch sechs Monate lang ausgestellt und eingelöst werden. So lange haben dann alle Beteiligten Zeit, sich auf die endgültige Einführung vorzubereiten. „In der Phase bis zum 1. Januar 2022 findet die Verbreitung statt“, sagt Hannes Neumann, Produktmanager E-Rezept bei der gematik.

Dann wird das E-Rezept – digital oder in Papierform – für alle Ärzte mit Kassenzulassung und alle Apotheken in Deutschland verpflichtend sein. Ab dem Zeitpunkt wird es das rosafarbene Rezept für verschreibungspflichtige Medikamente ersetzen. Weitere Ausbaustufen des elektronischen Rezepts sind bereits in Planung. Künftig sollen auch privat versicherte Patienten E-Rezepte erhalten und einlösen können. Weitere Rezeptformen werden schrittweise digitalisiert, darunter Betäubungsmittelrezepte, zweiteilige T-Rezepte, DiGA-Verordnungen und „grüne“ Rezepte für nicht verschreibungspflichtige Medikamente.

E-Rezept: Ein kurzer Blick auf die Funktionsweise

Und so soll das E-Rezept im Idealfall funktionieren: Während des Beratungsgesprächs mit dem Patienten – das auch digital möglich ist – erstellt der Arzt das Rezept wie gewohnt in seinem Praxisverwaltungssystem und signiert es digital am Computer mit dem Heilberufsausweis. Mit dieser Unterschrift werden die Informationen des Rezepts direkt verschlüsselt an den E-Rezept-Service in der Telematik-Infrastruktur übertragen und gespeichert. Dort ist das Rezept bis zu 100 Tage nach dem Ausfüllen verfügbar. Die Informationen aus dem signierten E-Rezept sind für den Patienten selbst und für autorisierte Apotheken über einen QR-Code abrufbar.

Der versicherte Patient kann über einen Token auf das E-Rezept zugreifen. Er hat dann die Wahl, sich das E-Rezept direkt digital in der E-Rezept-App von gematik anzeigen zu lassen oder den Token als Datamatrixcode auszudrucken. Im Gegensatz zum Ausdruck kann der Versicherte mit dem digitalen Code in der E-Rezept-App die Verfügbarkeit von verordneten Medikamenten bei bis zu drei (Online-)Apotheken vorab elektronisch abfragen.

Das E-Rezept kann in jeder (Online-)Apotheke in Deutschland eingelöst werden, indem dieser Token einer gewünschten Apotheke digital zugeordnet wird. Jede Apotheke kann den aufgedruckten Datamatrix-Code mit einem Scanner einlesen, die Rezeptinformationen aus der Telematik-Infrastruktur anzeigen und an das Warenwirtschaftssystem übertragen. Sobald die Verfügbarkeit eines Medikaments angefragt wird, bekommt die ausgewählte Apotheke alle Rezeptinformationen angezeigt, um den Lagerbestand zu prüfen. Die Anfragen können direkt im Warenwirtschaftssystem eingesehen und beantwortet werden. Nach der Freistellung wird eine vom Fachdienst unterschriebene Quittung ausgestellt, die die Apotheke zur Abrechnung mit der Krankenkasse nutzen kann.

Welche Vorteile bietet das E-Rezept?

Welche Vorteile ein elektronisches Rezept im Gegensatz zu einem Rezept in Papierform bietet, wird auf der Webseite von ottonova, einem privaten Krankenkassenanbieter, erläutert:

Vorteile für den Patienten

erreichbarkeit arzt

schnell: 
Medikamente können schneller bestellt und abgerechnet werden

technologie evaluierung

sicher: 
Gefahr von Wechselwirkungen oder Falscheinnahme sinkt

registrierung

bequem:
Folgerezepte können digital ausgestellt werden

e-rezept healthcare

entlastend: 
Ausstellung wird einfacher und Aufwand für Folgerezepte sinkt

e-rezept ausstellen

einfacher: 
weniger Fehlinterpretationen wegen unleserlicher oder beschädigter Rezepte

e-rezept Umwelt

schonender: 
E-Rezepte könnten mehr als 400 Millionen Papierbelege pro Jahr ersetzen und dank effizienterer Logistik auch Transportwege verkürzen

Alle Beteiligten stehen mit dem E-Rezept unter Druck

Der vom Gesetzgeber vorgegebene Termin 1. Januar 2022 für die Einführung des E-Rezepts setzt alle Beteiligten unter Druck. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie erschweren die Umsetzung der notwendigen Schritte zusätzlich. Hinzu kommen die Anforderungen in der Umsetzungspraxis: „Die Warenwirtschaftssysteme müssen angepasst werden und auch die Abrechnungsvereinbarungen müssen vorhanden sein. Gerade hier gibt es noch Verhandlungsbedarf mit den technischen Systemen“, sagt Sören Friedrich, Leiter der Abteilung IT/Telematik bei der ABDA. „Gleichzeitig gibt es in der Breite noch viel zu tun: Die Softwaresysteme müssen miteinander harmonieren – sowohl die medizinischen als auch die der Apotheken, die E-Rezept-App der gematik muss noch bis zum 1. Juli fertig sein und als native App für IOS-, Android- und Huawei-Geräte verfügbar sein.“

Da klingt es beruhigend, dass die gematik einige Baustellen bereits gut im Griff hat. „Bei einigen der von uns ausgeschriebenen Gewerke, wie den Dienstleistern für den Fachdienst und den Identitätsanbieter, sind wir bereits im Zielbereich“, sagt Hannes Neumann. So sollen beispielsweise alle 500 Millionen Rezepte, die in Deutschland pro Jahr ausgestellt werden, künftig über einen zentralen Fachdienst digital verwaltet werden. In einem europaweiten Ausschreibungsverfahren zur Einführung des E-Rezepts hat die gematik kürzlich die IBM Deutschland GmbH mit dem Aufbau und Betrieb dieses Fachdienstes beauftragt. Alle E-Rezepte werden dort gespeichert und auf die E-Rezept-App und die Apothekensysteme heruntergeladen. „Diese Daten sind verschlüsselt, so dass der Betreiber keinen Zugriff hat, sie also nicht lesen kann“, versichert Hannes Neumann.

e-rezept 2022

Klärungsbedarf bei der digitalen Signatur der Ärzte

Auch die Entwicklung und der Betrieb des Identitätsanbieters – des zentralen Zugangssystems, das die Identität von E-Rezept-Teilnehmern wie Krankenhäusern, Ärzten, Apothekern und Versicherten authentifizieren und den Zugang zu E-Rezept-Systemen ab dem 1. Juli 2021 ermöglichen soll – wurden in der europaweiten Ausschreibung an das österreichische Unternehmen Research Industrial Systems Engineering (RISE) GmbH vergeben. „Die Trennung des Identiätsanbieters vom E-Rezept-Service in zwei Lose und die Vergabe an unabhängige Unternehmen war nicht nur eine Forderung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, sondern wir sind auch davon überzeugt, dass es richtig ist, Inhalt und Zugang zu trennen“, erklärt der Produktmanager E-Rezept.

Die Suche nach einem Dienstleister für die Ausgabe des HBA (Heilberufsausweis) und SMCB (Institutionskarte) für ausländische Versandapotheken und für den IT-Service-Desk, also die künftige Hotline für Anfragen von Versicherten und Anwendern zur App, befindet sich noch im Ausschreibungsprozess. Die Entwicklung der App für das E-Rezept wurde hingegen nicht ausgeschrieben, da sie von der gematik bereitgestellt und ebenfalls in Eigenregie entwickelt wird. Den Grundstein dafür hatte der Gesetzgeber mit dem Patientendatenschutzgesetz gelegt.

„Bis zum 30. Juni werden wir mit der App fertig sein“, sagt Hannes Neumann zuversichtlich.

Klärungsbedarf gibt es allerdings noch beim Thema Unterschriften. Laut Sören Friedrich, Telematik-Experte der ABDA, ist eine der größten Sorgen der Ärzte, eine qualifizierte Unterschrift zu leisten. Dies ist derzeit noch ein Engpass für die Ärzte: „Das aktuelle System erfordert für jeden Signaturvorgang, also für jedes Rezept, die Eingabe einer x-stelligen PIN, was viel Zeit kostet. Daher sind für die digitale Signatur gewisse Komfortfunktionen erforderlich, zumal pro Rezept nur eine Verschreibung möglich ist. Dann müsste der Arzt bei drei Rezepten dreimal unterschreiben“, sagt Sören Friedrich. Dazu finden noch Gespräche mit der Ärzteschaft statt und die gematik entwickelt derzeit auch weitere Alternativen, damit der Arzt nicht bei jeder Transaktion die PIN eingeben muss.

Im E-Rezept-Notfall: zurück zum rosa Rezept

Besser läuft es in einem Bereich, der bei vielen Digitalisierungsprojekten zum Sorgenkind wird – Datenschutz und Sicherheit. Eine umfassende externe Untersuchung hatte bereits im Dezember 2020 die durchgängige Sicherheit der Telematik-Infrastruktur der gematik bestätigt. In der 360-Grad-Sicherheitsanalyse untersuchten die beiden international anerkannten Unternehmen aus dem Bereich Cyber- und Anwendungssicherheit – SEQRED und SEC Consult GmbH – zentrale Fragen, wie zum Beispiel: Wie groß ist die Widerstandsfähigkeit der Telematik-Infrastruktur und der gematik gegenüber Angriffen? Wird ein solcher Angriff erkannt? Wie schnell ist die Reaktion? Insgesamt wurde das Sicherheitsniveau als hoch eingestuft. Eine identifizierte Schwachstelle, die es einem potenziellen Angreifer ermöglicht hätte, die Authentifizierung des Signaturdienstes zu umgehen, wurde sofort ausgemerzt. „Wir haben intensive Tests durchführen lassen. Die dabei identifizierten Probleme mussten behoben werden. Das haben wir getan. Aus Sicht der Prüfer steht dem produktiven Einsatz nichts mehr im Wege“, bestätigt Holm Diening, Leiter der Sicherheit bei der gematik.

Jetzt müssen nur noch andere Akteure perfekt mitspielen, dann wird auch das Warm-up für das E-Rezept zum Erfolg führen. „Grundlegende Funktionalitäten, wie das Scannen des 2D-Codes und die Vorlage in der Apotheke, können mit jedem Smartphone ab iOS 13 und Android 6 genutzt werden. Für den vollen Funktionsumfang, zum Beispiel die Abfrage der Verfügbarkeit und die Zuordnung von Rezepten zu einer Apotheke, sind jedoch ein NFC-fähiges Smartphone und eine NFC-fähige elektronische Gesundheitskarte erforderlich. Die Krankenkassen müssen rechtzeitig die neueste Version der Gesundheitskarte herausgeben, damit die Patienten mit ihr interagieren können“, erwartet Hannes Neumann.

Für Menschen ohne Smartphone oder die ältere Bevölkerung wird auf Nachfrage das E-Rezept ausgedruckt.

Das hat aber dann keinen Formularcharakter mehr, wie es beim rosa Rezept der Fall war, da es nicht mehr die Verordnung samt Arztunterschrift erhält. Auf dem Ausdruck ist lediglich der QR-Code abgebildet mit dem die Apotheke auf die digitale Verordnung zugreifen kann, die auf dem Fachdienst-Server der gematik liegt. 

Und was passiert, wenn die Telematik-Infrastruktur instabil ist oder komplett ausfällt? So etwas lässt sich nicht zu 100 Prozent ausschließen. „Aber für den Fall, dass ein Arzt nicht digital verordnen kann, zum Beispiel bei einem Hausbesuch oder in einem Pflegeheim, gibt es Ausnahmen. Wenn die Telematik-Infrastruktur nicht genutzt werden kann, zum Beispiel bei einem Internetausfall in der Arztpraxis, kommt vorübergehend das Modell 16 zum Einsatz, also das gute alte rosa Papier“, sagt der Telematik-Profi.